Mehr Zahlen als gerade Zahlen?
In der Vorlesung hast du gehört, dass es genau so viele (natürliche) Zahlen wie gerade Zahlen gibt. Das ist ziemlich seltsam, und das Ganze ist auch ziemlich schwer.
Wie wird so eine Aussage begründet?
Man kann folgende Tabelle ansehen, in der unter jede Zahl eine gerade Zahl gestellt wird, so dass keine gerade Zahl doppelt vorkommt und keine natürliche Zahl übrig bleibt.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 · · ·
2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 · · ·
Die Punkte deuten dabei an, dass wir diese Liste immer weiter denken können, auch wenn wir - ganz gleich wie lange wir daran arbeiten - immer nur ein endliches Teilstück hinschreiben können.
Dass wir ohne Begrenzung immer weiter gehen können, ist für diese Überlegung enorm wichtig. Für die Zahlen zwischen 1 und 12 und die geraden Zahlen zwischen 1 und 12 klappt die Sache nicht:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
2 4 6 8 10 12 ? ? ? ? ? ?
Wo die Fragezeichen stehen, sind keine geraden Zahlen zwischen 1 und 12 mehr übrig. Man kann natürlich auch auf andere Weise probieren, die geraden Zahlen 2, 4, 6, 8, 10, 12 den Zahlen von 1 bis 12 zuzuordnen, etwa so:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
10 ? 4 8 ? ? ? ? 12 ? ? 6
Aber es bleiben immer Fragezeichen übrig. Es gibt schlicht und einfach weniger gerade Zahlen zwischen 1 und 12 als es ganze Zahlen zwischen 1 und 12 gibt.
An der 12 ist hier nichts Besonderes. Würde man versuchen, jeder Zahl zwischen 1 und 13487 eine gerade Zahl zwischen 1 und 13487 zuzuordnen, so dass keine doppelt vorkommt und keine übrigbleibt, dann würde man damit
auch Schiffbruch erleiden.
Aber wenn man die unendlich vielen natürlichen Zahlen und die unendlich vielen geraden Zahlen ansieht, dann klappt so eine Zuordnung. Obwohl: es sollte ja gefühlsmässig weniger gerade Zahlen als natürliche Zahlen geben: 1, 3, 5, 7, . . . sind ja zum Beispiel keine geraden Zahlen.
Was hier abläuft, ist Mathematik, und zwar eigentlich ziemlich schwere. Mach dir keine Sorgen, wenn der Schädel brummt und du nicht so ganz durchsteigst. Das hat schon bei anderen Leuten nicht gleich geklappt. Also nochmal unser Ausgangspunkt:
Wir sagen, dass zwei Mengen gleich viele Elemente enthalten, wenn es eine Zuordnung zwischen den Elementen dieser Mengen gibt, so dass keines übrig bleibt und keines mehrfach zugeordnet wird.
Das ist eine mathematische Definition, also eine Begriffsfestlegung. Sie ist, wie jede Definition, zu einem gewissen Grad willkürlich, aber nachdem sie mit unserer intuitiven Vorstellung für endliche Mengen zusammenpasst, findet man sie eigentlich ganz ok.
Aber auch wenn Definitionen in der Mathematik willkürlich sind, sind wir beim Umgang mit ihnen – wenn wir sie mal getroffen haben – anschliessend nicht mehr frei. Ahnlich wie bei einem Spiel müssen wir uns an die Regeln halten, die wir festgelegt haben. Und das führt dann eben zu solchen Ergebnissen, dass es gleich viele natürliche Zahlen und gerade Zahlen gibt.
Vielleicht bist du ja auf eine so ähnliche Idee wie die folgende gekommen:
”Selbstverständlich gibt es gleich viele natürliche Zahlen und gerade Zahlen, weil es unendlich viele natürliche Zahlen und unendlich viele gerade Zahlen gibt.”
Einerseits ist das eine gute und bedenkenswerte Idee (die auch mit einigen Komplikationen aufräumen würde). Andererseits wollen die Mathematiker aber auch noch verschiedene Arten von ”Unendlich” unterscheiden. Unter den unendlichen Mengen wollen sie also auch noch unendlichere (sozusagen) ins Visier nehmen.
Das hört sich jetzt vermutlich langsam wirklich ziemlich komisch an, aber in der Mathematik kann man damit etwas anfangen, und dieses Gedankengebäude erweist sich sogar als nützlich.
Für die Kinderuni ist hier aber wirklich Schluss! Ein bisschen was muss ja noch für die Erwachsenenuni übrig bleiben!